Bilderbücher in der Sprachtherapie

von Mariann Auer, Logopädin und im Mai 2023 Gästin an der Internationalen Jugendbibliothek

Als Logopädin an einer Sprachheilschule arbeite ich oft mit Bilderbüchern in der Sprachtherapie. Im Rahmen einer beruflichen Intensivweiterbildung hatte ich nun die einmalige Gelegenheit, mich an der Internationalen Kinder- und Jugendbibliothek für zwei Wochen lang ausgiebig mit dem sprachtherapeutischen Einsatz von Bilderbüchern zu beschäftigen.

Bilderbücher fördern die Sprachentwicklung

Bilderbücher bieten einerseits durch ihre Inhalte, andererseits durch die Anregung zum Dialog vielfältige therapeutische Chancen und wirken sich nach meiner Erfahrung positiv auf die Sprachentwicklung der Kinder aus. Sie ermöglichen eine ideale Sprachlernsituation, regen Kinder zum Entdecken und Verbalisieren von Bekanntem und zum Erforschen und Kennenlernen von Neuem an. Die visuelle Unterstützung hilft mit, das Sprachverständnis zu fördern, und es können erste Literacy-Erfahrungen gemacht werden. Zudem bieten Bilderbücher oft ein differenzierteres Sprachangebot als die Alltagsprache. Die sprachfördernde Wirkung von Bilderbüchern ist also unbestritten. Die Aufgabe der Sprachtherapeutin ist es nun, entsprechend der zu behandelnden Sprachstörung gezielt Bilderbücher auszuwählen und die dialogische Bilderbuchbetrachtung so zu gestalten, dass das sprachlich beeinträchtigte Kind optimal profitieren kann.

Literaturrecherche

Für meine Arbeit an der Internationalen Kinder- und Jugendbibliothek musste ich mich schon im Vorfeld meines Aufenthaltes intensiv mit der Literaturrecherche beschäftigten, um potentiell geeignete Bilderbücher rechtzeitig zu bestellen und dann vor Ort mit ihnen arbeiten zu können. Dabei konnte ich vom vollen Zugang zur Sammlung und vom Fachwissen einer Mitarbeiterin der Bibliothek profitieren, die mich schon im Voraus und auch während meines  Aufenthalts mit hilfreichen Tipps zur Recherche unterstützte.

Ausgewählte Therapiebereiche

Bilderbücher können zur spezifischen sprachtherapeutischen Arbeit in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt werden. Ob Aussprache-, Grammatik- oder Kommunikationsförderung, Wortschatzerweiterung oder die Unterstützung beim Schriftspracherwerb, für jeden dieser Therapieschwerpunkte lassen sich geeignete Bilderbücher finden. So suchte ich beispielsweise nach Büchern mit Reimen oder Zungenbrechern, nach solchen, die das Sprachlernen selbst zum Thema machen, nach Kettengeschichten mit einem immer wiederkehrenden Ereignis oder nach sogenannten „Silent Books“ (Bilderbücher ohne Text).

Arbeit in der Bibliothek

An meinem ersten Arbeitstag wurde ich im Lesesaal von einer Mitarbeiterin herzlich empfangen und in die Bibliothek eingeführt. Auf dem mir zugeteilten Arbeitsplatz wartete schon ein groẞer Stapel Bilderbücher auf mich, so dass ich mit Freude gleich in diese Bilderbuchwelten eintauchen konnte. Zuerst ordnete ich die Bücher nach verschiedenen Förder-Kategorien, die sich im Laufe meiner praktischen Arbeit herauskristallisiert hatten (Bsp. Literacy, Diagnostik, Wortschatzerwerb, Grammatiktherapie, Kommunikationsförderung usw.). Dann untersuchte ich sie auf ihre jeweiligen spezifischen Einsatzmöglichkeiten in der Sprachtherapie.

Mein Arbeitsplatz (c) Mariann Auer

Etliche der ausgewählten Bücher lieẞen sich in mehrere Kategorien einordnen, weil sie beispielsweise einen hohen Aufforderungscharakter haben (Kommunikationsförderung), über wiederkehrende komplexe Syntaxstrukturen verfügen (Grammatiktherapie) sowie differenzierte Begriffe in einem spezifischen semantischen Feld präsentieren (Wortschatzausbau). So gelang es, eine stattliche Anzahl unterschiedlich einsetzbarer „Therapie-Bilderbücher“ auszumachen und zu dokumentieren. Das Bilderbuch „Was war hier bloẞ los?“ von Gerda Muller (Moritz Verlag) ist repräsentatives Beispiel für diesen Typus. Mit diesem textlosen Bilderbuch lässt sich mit Kindern unterschiedlichen Alters in den Bereichen Kommunikation, Wortschatz oder Grammatik an der Erzählfähigkeit, dem Ausbau des Verbvokabulars oder der Einübung des Partizip Perfekts arbeiten.

Inspirierende Umgebung

Der Weg in den Lesesaal führte mich jeden Morgen durch die Wehrgang-Galerie und damit durch die wunderschön gestaltete Ausstellung „Schwarz Weiẞ Grau, Bilderbücher ohne Farben“. Was für ein inspirierender Arbeitsort! Wenn meine Arbeit zwischenzeitlich stockte, konnte ich mich beim Betrachten der Ausstellungen in der Schatzkammer oder in der Wehrgang-Galerie anregen lassen. Für Erholung und Erfrischung sorgten mittägliche Spaziergänge oder Picknicks in der idyllischen Umgebung der geschichtsträchtigen Blutenburg.  

Grundlage für die weitere Arbeit

Dank der Möglichkeit, mich an der Internationalen Kinder- und Jugendbibliothek in das Thema „Bilderbücher in der Sprachtherapie“ zu vertiefen, konnte ich eine vorzügliche Grundlage für meine Sammlung geeigneter „Therapie-Bilderbücher“ schaffen. Zuhause angekommen, werde ich die Arbeit ausbauen und mit selbst hergestellten Therapiematerialien ergänzen. Ich freue mich darauf, mit den Therapiekindern die Bücher gemeinsam zu entdecken, meine Begeisterung für das Thema an Kolleginnen weiterzugeben und natürlich in erster Linie, sprachbeeinträchtigte Kinder mithilfe von gezielt ausgewählten Bilderbüchern in ihrer Sprachentwicklung wirksam zu unterstützen.

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