Von Anna Magdalena Hofer, Volontärin der Presse- und Programmabteilung
Zehn Jahre ist es jetzt her, dass auf unserem Blog erstmals ein Bericht über die Schreibwerkstatt in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Dachau erschienen ist.
Nach wie vor bietet die Internationale Jugendbibliothek weiterführenden Schulen die Möglichkeit, den Besuch der KZ-Gedenkstätte, der in Bayern meist in der 9. Klasse im Lehrplan verankert ist, mit der Schreibwerkstatt „Worte finden für das Unfassbare“ in der IJB zu verbinden.

Frank Griesheimer, der als freier Lektor für Jugendbuchverlage arbeitet und die Schreibwerkstatt leitet, eröffnet den Workshop gerne mit einem Hinweis auf die Besonderheit der beiden Orte, die die Schülerinnen und Schüler an diesem Tag besucht haben. Auf der einen Seite das ehemalige Konzentrationslager Dachau, ein bedrückender und schrecklicher Ort, geprägt von Hoffnungslosigkeit und Angst. Auf der anderen Seite die Internationale Jugendbibliothek im Schloss Blutenburg, die mit dem Gedanken an die Hoffnung auf die Generation der Nachkriegskinder von Jella Lepman gegründet wurde, die selbst vor den Nationalsozialisten aus Deutschland geflohen war – ein bunter und oft von munteren Kinderstimmen erfüllter Ort.
Nach einer kurzen Reflexionsrunde, die auch die eignen Befindlichkeiten der Jugendlichen nicht ausspart und in der auch die Äußerung von Genervt-, Überfordert- und Schockiert-Sein durchaus erwünscht sind, kratzen die meisten Stifte voller Konzentration und in meist absoluter Stille eifrig übers Papier. Es tut gut, den Gefühlen freien Lauf zu lassen und sich den anstrengenden Tag mit einem kreativen Auftrag buchstäblich von der Seele zu schreiben.
Auszug aus Schreibaufgabe A: „Schreibe einen Brief aus Dachau!“
3 Jahre ist es her, da habe ich mich für eine Stelle in diesem Höllenhaus beworben. Ich dachte, es sei ein Arbeitslager, so wie es nun mal auf dem Bewerbungsbogen stand, doch nun finde ich mich hier in diesem Albtraum wieder. Letztens wollte einer fliehen, ich stand vor dem Tor und drückte ab – Ladehemmung. Er flog 10m vor mir, blutend wie ein Schwein, zu Boden und starb vor meinen Augen. Der Wachturm hatte ihn gesehen und gehandelt – nun ist er tot. Erlanger hatte ihn erschossen. Doch am meisten erschreckt es mich, dass ich bereit dazu bin einen anderen Menschen zu ermorden.
Zu ermorden, weil er aus einer Gefangenschaft flieht, in welcher er aufgrund seines Glaubens ist. Ich meine, was haben die Juden schon getan, dass wir sie einsperren, ausbeuten, erniedrigen, foltern und schließlich töten.
Andererseits spüre ich noch das Gute in mir: letztens habe ich mir einen schweren Fehler geleistet indem ich einen flüchtenden Juden bei der Außenarbeit entkommen ließ. Es fühlte sich richtig an. Die Kollegen vertrauen mir jedoch jetzt nicht mehr. Ich muss mich echt hüten, daher bitte ich dich diesen Brief unauffindbar zu verwahren oder ihn zu verbrennen. Wir essen komfortabel und tun nichts, und die ausgebeuteten Arbeiter bekommen den ekelhaftesten Fraß vorgeworfen.
Diesen Gefangenen beim Appell in die Augen zu sehen ist so schwer, da sie mich für das was ich tue hassen und ich mich selbst auch.
Am schlimmsten ist der Geruch der Toten, so beißend und kalt.
Ich schreibe dir in baldiger Zukunft! Ich vermisse euch alle!
Wenn ich nicht erwischt werde!
(SchülerIn der 9e des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums)

Nach jedem vorgelesenen Beitrag arbeitet Frank Griesheimer die Besonderheiten des soeben Gehörten mit der Klasse heraus. Ist es ein Brief aus Täter-Perspektive, der Zweifel an den Ereignissen im KZ ausdrückt, oder ein Täter, der mit seinen Taten prahlt, und diese nicht hinterfragt? Hat ein Opfer, das als KZ-Insasse oder KZ-Insassin der Familie schreibt, bereits mit dem Leben abgeschlossen, oder liegt noch eine leise Hoffnung in den Worten?
Das aufrichtige und persönliche Feedback erfreut die meisten Jugendlichen sehr, auch deswegen, weil dafür im regulären Unterricht oft nicht viel Zeit bleibt.
Auszug aus Schreibaufgabe B: „Erzähle die Geschichte weiter“
(…) Sie waren jetzt natürlich in keinem guten Zustand mehr und dreckig, aber immer noch besser als die Sachen, die ich an den Lagerinsassen gesehen hatte. Im „Umkleideraum“ erblickte ich Alex zum ersten Mal.
… Sie war in etwa so alt wie ich. Vielleicht ein bisschen älter. So genau ließ es sich nicht sagen, denn auch sie war bis auf die Knochen abgemagert. Aber die lächelte mir zu. Es war das erste Lächeln, das ich gesehen hatte, seit die bösen Männer mich vor einigen Wochen mitgenommen hatten. Für mich war es wie ein winziger Schimmer von Hoffnung. Hoffnung, dass die Welt noch nicht ganz untergegangen ist. Ich legte die Gefängniskleider an, die mir gegeben wurden, dann wurden wir alle auf einen großen Platz geführt und wir mussten uns ganz gerade in Reihen aufstellen. Ich war nervös und traute mich vor Angst nicht einmal richtig zu atmen. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir alle still auf dem Platz standen, aber irgendwann, als es schon dunkel war, wurden wir endlich in die Häuser geführt.
Die Betten waren sehr schmal und obwohl es so viele waren, fand ich kein Freies mehr. Da sah ich sie wieder, das Mädchen, das mir vorhin zugelächelt hatte. Sie saß auf dem Boden und hatte offensichtlich auch kein Bett gefunden. Ich setzte mich zu ihr und lächelte sie an. Sie lächelte zurück und sagte: „Ich bin Alex.“ Das war alles, doch in dem Moment wusste ich, ich würde sie brauchen, um hier drinnen zu überleben…
(SchülerIn der 9e des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums)
Viele Lehrerinnen und Lehrer sind dankbar, dass die Eindrücke des Vormittags gleich aufgenommen und bearbeitet werden können. Sonst vergehen manchmal Tage oder Wochen, bis über das Erlebte zusammen gesprochen werden kann, die Präsenz wäre verloren und die Jugendlichen blieben mit akuten Fragen und Gedanken oft alleine.
So haben sie zwar einen langen und intensiven Tag hinter sich, und doch hat schon ein erster Verarbeitungsprozess stattgefunden. Denn trotz der Unfassbarkeit dieses Kapitels der deutschen Geschichte und seiner Orte des Grauens, darf die Erinnerung nicht in Vergessenheit geraten.